Dr.- Ing. Wilhelm Niehüsener
Beigeordneter f.d. Bauwesen der Stadt Aachen, a.D.
Städtebaukonzepte 1975 - 1995
1. Vorbemerkung
Ich habe in verschiedenen Ländern und unter den verschiedensten parteipolitischen Mehrheiten als Stadtplaner gearbeitet und dabei eine interessante, fast allgemein gültige Erfahrung gemacht:
Links orientierte Parteien, wie SPD und Grün-Alternative brauchen für ihre Selbstdarstellung nach innen und nach außen so genannte Konzepte.
Das sind
Papiere mit programmatischen verbalen und plakativen zeichnerischen Darstellungen, die als anscheinend überzeugender Beweis einerseits für Aktivität überhaupt und andererseits - in Zeiten der Unsicherheit und des Zweifelns - für eine zukunftsweisende, richtige Denkweise stehen.
Man kann sie bei Partei- und Parlamentsreden, bei Vorträgen und Gesprächen wedelnd in der linken oder rechten Hand schwenken und als suggestiv-konkretes Medium der Überzeugungsarbeit verwenden.
Charakteristisch für Konzepte, obwohl immer mit zukunftsweisender Erwartung angekündigt, ist ihre Kurzlebigkeit. Erfahrungsgemäß verschwinden die meisten schon nach kürzester Zeit in den Schubladen und werden nie wieder angeschaut.
Manchmal ist es sogar peinlich, später noch einmal danach zu fragen.
Von daher ergibt sich auch, dass für die Qualität solcher Konzepte weniger der dauerhaft gültige Inhalt, sondern die Qualität des oder der Verfasser im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur plakativ - prophetischen Aussage und zur Parteikonformität steht.
Ein treffendes Beispiel hierfür ist das Anfang der 70-er Jahre von der NW-Landesregierung als Grundlage für die Landesplanung und jegliche Förderung mit öffentlichen Mitteln propagierte Nordrhein-Westfalen- Programm mit der Forderung an die Städte und Gemeinden, so genannte Standortprogramme aufzustellen.
Ich war damals als Direktor des Stadtplanungsamtes der Stadt Essen Mitglied eines Arbeitskreises der Landesregierung, der die Erarbeitung der Richtlinien für die Aufstellung der Standortprogramme begleitete.
Das Stadtplanungsamt der Stadt Essen erstellte unter meiner Leitung in der Folgezeit mit hohem personellem und materiellem Aufwand das von der Landesregierung als Voraussetzung für die Städtebauförderung geforderte Standortprogramm der Stadt Essen, ein sich aus den Grundsätzen der Landesplanung entwickelndes umfassendes Stadtentwicklungskonzept
Die Geschichte erbringt den Beweis: Dieses Standortprogramm war das erste und das einzige, das in NW jemals gefertigt wurde.
Die Erstellung dauerte zulange, der finanzielle Aufwand war zu groß, das Werk war zu umfangreich und für Schnellleser ungeeignet, die erwartete Endgültigkeit der fachlichen Aussage ließ keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr zu; und überhaupt...
Als zweites grundsätzliches Beispiel ließe sich die Geschichte der Stadtentwicklungsreferate anführen, mit den unrealistischen Erwartungen an Raum, „Ressourcen“ und Zeit,
das heißt alles umfassende Stadtentwicklungskonzepte.
Oder die aus der Resignation über nicht machbare Gesamtstadtentwicklungskonzepte Notgeborenen Stadtteil-Entwicklungskonzepte.
Und, und, und.. .i!!
2.0 Stadtentwicklungs- und Stadtplanungskonzepte in Aachen.
Die nachweisbare falsche Aussage, Aachen habe in den Jahren 1975-1995 kein Stadtentwicklungskonzept gehabt, ist nicht neu.
Sie wurde von Politikern als polemisches Instrument und von Auftrags-Interessierten immer wieder vorgebracht. Sie hat mich nie betroffen gemacht.
Das sind die Tatsachen:
2.1
Mitte der 70er Jahre wurde im Auftrag der Stadt Aachen unter der Federführung von Prof. Pflug, RWTH Aachen, und mit Begleitung der zuständigen städtischen Ämter ( damals noch alle im Dez III ) ein programmatisches Landschaftsökologisches Gutachten erstellt, das räumlich alle Bereiche der Stadt, nicht nur die unbebaute Landschaft und fachlich alle relevanten Aspekte umfasste.
Damals gab es noch keine Grünen und kein Landschaftsschutzgesetz in NW. Noch heute kann dieses Ökologische Grundsatzwerk als vorbildlich gelten.
2.2
Das Stadtplanungsamt unter Federführung seines zuständigen Abteilungsleiters Wernerus erarbeitete Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre einen neuen Flächennutzungsplan, als im Gesetz geforderter so genannter vorbereitender Bauleitplan mit Zukunft orientierter Planungsaussage
Dieser Flächennutzungsplan von 1980 hält, was den Umfang der fachlichen Aussage und die inhaltliche Qualität anbetrifft, nicht nur den Vergleich mit den FNPs anderer Städte spielend aus; er diente als erfolgreiche Beweisgrundlage bei Verwaltungsgerichten und trotzte erfolgreich jeglicher Anfechtung selbst durch den RP Köln ( Gewerbegebiet Richterich-Horbach als Vorgänger des Grenzüberschreitenden Gewerbegebietes Aachen-Heerlen)
Weil es sich nicht um ein Wunschkonzert oder um ein planerisches lllusionsgebilde handelte, sondern um fundierte Zukunftsaussagen mit Realitätswert.
Alle 5 Jahre sollte ein Flächennutzungsplan. fortgeschrieben werden.
Wo sind diese Fortschreibungen nach nunmehr 30 Jahren?
Gibt es heute überhaupt eine vergleichbare, bessere Zukunftplanung als die
damalige Gesamtschau?
2.3
Mitte der 80er Jahre wurde koordinierend im Stadtplanungsamt der Vernetzungsplan zur Wohnumfeldverbesserung aufgestellt, wesentlich geprägt von den Mitarbeitern Frau Dipl.- Ing. Springer-Ranft, Dipl.- Ing. Thomas Haendly und Dipl.- Manfred Jäger. Dieser Vernetzungsplan bildete die Grundlage für sämtliche Stadterneuerungsmaßnahmen in der Innenstadt und den angrenzenden Altbaugebieten und beinhaltet im Gegensatz zu den damals noch üblichen, großflächigen und langfristigen Kahlschlag-Sanierungsplänen meine planerische Vorstellung vom räumlichen und funktional effektiven Zusammenwirken sinnvoll angewandter und kurzzeitig zu realisierender Stadterneuerungs-Maßnahmen, die sich wie ein Perlennetz vom Kennedypark bis zum Westpark und vom Lousberg bis zum Kurbereich Burtscheid erstreckten,
Dieses Konzept der machbaren erhaltenden Stadterneuerung habe ich gelegentlich auch städtebauliche „Frischzellentherapie“ genannt.
90 % der damals geplanten Maßnahmen sind zu meiner Zeit realisiert worden. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Lebensqualität, den Wohnwert und das Image der Innenstadt und nicht zuletzt auch der Altbauquartiere wie Frankenberger Viertel, Rehmviertel, u.a. neu zu festigen und Aachen sein unverwechselbares, von Bewohnern und Touristen geschätztes Image der „Aufenthaltqualität“ auf Straßen und Plätzen zu geben.
2.4
Ende der 80er Jahre folgte das lnnenstadtkonzept, ein weiteres Städtebaukonzept, das Maßnahmen-orientiert und zeitlich überschaubar die erhaltende Stadterneuerung der gesamten Innenstadt innerhalb des Alleenringes umfasste.
Ich erspare es mir, trotz der offensichtlichen Vergesslichkeit und der schnellen Gewöhnung an das Neue hier die unüberschaubare Fülle der einzelnen Maßnahmen aufzuführen.
Aber ich erinnere mich lebhaft daran, dass trotz der vergleichenden bildhaften Darstellung der damaligen Zustände und der Veränderungsvisionen, viele es sich nicht vorstellen konnten, andere es nicht wahr haben wollten, was heute längst akzeptierte Gewohnheit geworden ist:
Marktplatz, Katschhof, Willy-Brand-Platz, Schmiedstr., Hotmannspief, Annastr.-Bendelsstr usw.usw.
Dankbar denke ich an die kreative und konstruktiv-anregende Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitern aller Ämter des damaligen Baudezernates, insbesondere an meinen persönlichen Referenten Dipl.-Ing Hans Heuft, an die engagierten Architekten des Stadtplanungsamtes und die kreativ mitdenkenden Ingenieure des Tiefbauamtes
Scharen von Hochschulprofessoren und Fachkollegen sind heimlich oder offen nach Aachen gepilgert, um zu sehen, was wir machten, und wie wir es machten.
Sie waren noch immer mit ihren Konzepten beschäftigt.
2.5
Wer behauptet, es hätte in den Jahren 1975 bis 1995 in Aachen kein Stadtentwicklungs-Konzept gegeben, der versteht wahrscheinlich etwas anderes unter Stadtentwicklung und hat eine andere Vorstellung von Konzept, als wir sie hatten.
Für uns war Stadtentwicklung nicht Stadtvermarktung, nicht Event-Organisation, nicht kurzlebige Wirtschaftswerbung, sondern auf Stadterhaltung und Stadterneuerung zielender Stadtumbau.
Wir waren der festen Auffassung, dass Aachen, im Gegensatz zu vielen anderen Städten, ein Gesicht, ein Image hat, und sich nicht für viel Geld von Auswärtigen, meist fantasievollen Designern, die Aachen kaum kennen, ein neues Gesicht kaufen muss.
Wir wollten die zweifelsfrei vorhandenen Qualitäten Aachens bewusst und sichtbar machen und die vorhandene Identifikation der Bewohner Aachens mit ihrer Stadt stärken und festigen.
Wir haben es abgelehnt, den Aachenern ein neues Identifikationsprofil geben zu wollen.
Unsere Konzepte waren zwar zukunftsorientiert, aber immer in erster Linie Realisierungskonzepte.
Unsere Konzepte waren nicht für die Aktenschublade gedacht, sondern Handlungsrahmen für die nahe Zukunft.
Da in Aachen im Gegensatz zu den meisten Städten glücklicherweise Planen und Bauen in einem Dezernat vereinigt blieben, waren hier auf bauliche Realisierung gerichtete Stadtplanungskonzepte möglich.
Den Erfolg dieser Stadtplanungsstrategien braucht man nicht herbeizureden, den kann man in ganz Aachen sehen, Begriffe wie Aufenthaltsqualität, Wohlbefinden der Bürger, quirliges Leben auch am Abend sind sichtbare Wirklichkeit geworden.
Hat man vergessen, wie die Situation in den 50er, 60er und frühen 70er Jahren war?
Unsere Konzepte haben von Anfang an sowohl die einseitigen Konzept-Planer, die Nur-Pläne-Macher und Verbalplaner, als auch die Nur-Bauen-Könner irritiert
Sie reagierten jeweils aggressiv und mit Vorwürfen.
Es stimmt:
Unsere Konzepte entsprachen und entsprechen nicht den Vorstellungen der Stadtvermarkter, die selbst nichts kreativ schaffen, aber eine Stadt als Ware verkaufen wollen und unter Konzept: Verkaufs- Event- und Vermarktungsstrategien verstehen.
Irrsinnige Beispiele dieser Actions: Kommerzielle Hochsprungevents auf dem Katschhof, oder ein Riesenrad dort.
2.6
Meine im Rahmen der Diskussion um ein Konzept für den öffentlichen Nahverkehr und die Anlage einer Stadtbahn im Aachener Raum und der Euregio öffentlich vorgetragenen Ideen über die strukturellen Voraussetzung als Grundlage für ein Konzept wirkungsvollen schienengebundenen Personenverkehrs, die auf den Erkenntnissen aus meiner Dissertation basierten, sind mit List und Tücke in einer Alliance von ASEAG und Verkehrsministerium tot geschwiegen worden, weil sie nicht „in die Landschaft passten“.
2.7
Im engeren Zusammenhang mit der Planung eines grenzüberschreitenden Gewerbegebietes Aachen-Heerlen habe ich in den 80er Jahren in Arbeitskreisen der Euregio und im Stadtentwicklungsausschuss meine konzeptionellen Vorstellungen über eine städtbaulich geordnete Entwicklung im Grenzraum Aachen.Heerlen vorgetragen.
Ich hatte damals eine Mischung oder zumindest gleichwertige Ergänzung mit Wohnbebauung gefordert, u.a. eine Voraussetzung für öffentlichen Nahverkehr, aber nicht zuletzt wegen der Problematik einseitig gewerblich genutzter Stadtgebiete, die nach Arbeitsschluss leer laufen.
Meine Konzeption zu dieser Entwicklung ist damals interessanterweise als unrealistisch und nicht machbar abgetan worden.
(Übrigens bleiben meine Bedenken gegen diese ausschließlich gewerblich genutzte und zudem räumlich isoliert liegende, großflächige Gewerbe-Bebauung nach wie vor bestehen.)
Auch im Zusammenhang mit der Diskussion über einseitig ökologisch orientierte Konzepte, ist es interessant festzustellen, dass die Sorge um die Existenz nicht nachgewiesener Feldhamster erheblich bedeutender ist, als die vorausschauende Beschäftigung mit den baulichen und gesellschaftlichen Ergebnissen einer Planung.
3.0
Ich konnte und kann mit allen Vorwürfen leben.
Sie kommen meist von Mitmenschen, die in ihrem beruflichen und politischen Leben keine Gelegenheit hatten, so erfolgreich wie wir, ihre fachlichen Vorstellungen und Ideen in bauliche Wirklichkeit umzusetzen.
Meine Lebenserfahrung als Stadtplaner sagt:
Kommst Du mit Konzepten, wird von den Kritikern nach der Machbarkeit gefragt.
Hast Du als Stadtplaner, wie wir in Aachen, die seltene Chance, städtebauliche Ideen baulich zu realisieren, wirst du als „Macher“ (ab)-qualifiziert.
3.1
Gelegentlich habe ich das alte armenische Sprichwort zitiert:
„Jammern ist der Gruß der Kaufleute“
Die mit dem Wechsel der Mehrheit im Aachener Stadtrat einhergehende politisch motivierten Agitationen von Einzelhandelsfunktionären gegen die damals von der neuen rot-grünen Ratsmehrheit propagierte Verkehrsberuhigung hat der Stadt und ihrem Image nach außen einen nachhaltigen Schaden zugefügt, der nach dem Wechsel der Führungspersonen wieder mit großem Werbeaufwand auf die realistische Ebene der Tatsachen und ihrer positiven Vermarktungspotentiale zurückgeführt werden musste.
3.2
Aachener Einzelhändler schauen immer wieder, wenn auch sachlich völlig unbegründet und unverständlich, eifersüchtig auf die kleinere Schwester in der Euregio: Maastricht.
Auch als Stadtplaner kann man manchmal die Maastrichter Kollegen beneiden.
Nicht nur weil durch ihre Stadt als Geschenk der Natur die Maas fließt, sondern weil sie im politischen Raum weltoffene Partner haben, die ihnen u.a. die Beauftragung international bekannter Architekten ermöglichen und deren Preis als Investition in Werbung werten.
Aber bei näherem Hinsehen muss man doch feststellen, Aachen hält jeden Vergleich mit Maastricht aus!
Aachen hat Gott sei Dank seine eigene unverwechselbare Identität.
3.3
Die Mitte der 1990er Jahre erfolgte Beauftragung des Maastrichter Fachkollegen Daniels, der nicht nur in den Niederlanden einen guten Namen hat und den ich seit Jahrzehnten kenne und schätze, für Aachen ein städtebauliches Gutachten über zukünftige Entwicklungspotentiale zu erstellen, halte ich für einen geschickten politischen Schachzug der damaligen schwarz-gelben Ratsmehrheit.
Einerseits im Hinblick auf die Aufarbeitung der oben genannten Agitationen (die sich als Rohrkrepierer erwiesen hatten), andererseits gegen eine von der (ihrer Meinung nach) falschen politischen Couleur geführten Verwaltung.
Darüber hinaus halte ich es für gar nicht so verkehrt, sich einmal von einem Außenstehenden die schwierige Frage beantworten zu lassen, welche weitergehenden, städtebaulichen Entwicklungspotentiale denn in Aachen noch bestehen.
Die Aussage ist dann hoffentlich zukunftsweisend und eine kreative Bereicherung, Wäre sie nur Kritik an dem bisher Geschaffenen, hätte man sich das Geld für den gewiss nicht billigen Auftrag sparen können.
Mit Gelassenheit warte ich nach nunmehr 15 Jahren immer noch auf die Ergebnisse des kostspieligen Planungsauftrages und eine Antwort auf die Frage, welche konzeptionellen und inhaltlichen Vorschläge die politische Diskussion überstehen und sich als dauerhafte Qualität erweisen werden.
Siehe im Übrigen unter 1.Konzepte
Das Ergebnis dieses Auftrages zur Erstellung eines Stadtentwicklungskonzeptes für Aachen nach 2000 ist übrigens niemals veröffentlicht worden und allgemein unbekannt..
In welcher Schublade liegt es?
3.4
Naturbedingt liegt Aachen leider nicht an einem Fluss.
Als billigen Ersatz für dieses Defizit Rinnen am Straßenrand ins Pflaster einzubauen, die dann auch noch 5 Monate im Jahr trocken liegen und nachts durch Leuchtstreifen gesichert werden müssen, ist extremer Ausdruck stadtplanerischer Hilflosigkeit.
Aachens Wasser sind die heißen Quellen.
(Aa oder Aach heißt ja etymologisch auch nicht Fluss, nicht Rinnsal, sondern Quelle.)
Deshalb wird nach meiner festen Überzeugung die lange überfällige, endlich fertig gestellte und gegen alle Skeptiker erfolgreiche Therme als ldentifikationsmedium für die Badestadt Aachen und als Werbeträger nach außen wirkungsvoller sein.
4.0
Bleibt mir zum Schluss rückschauend und resümierend die dankbare Feststellung:
1975 bis 1995 in Aachen war eine gute, städtebaulich und baulich kreative Zeit!
Dr.– Ing. Wilhelm Niehüsener
Beigeordneter für das Bauwesen der Stadt Aachen von 1975 - 1995
Überarbeitete Fassung Mai 2010
Siehe auch den DVD -Film von Dr. Heribert Felten:
Dr.- Ing. Wilhelm Niehüsener in seiner Stadt Aachen.