Auslandserfahrungen

Als deutscher Stadtplaner in Holland

                                                                                    

A         Als deutscherStadtplaner in den Niederlanden

in den in den Jahren 1962- 1969

Berufliche und persönliche Erfahrungen und Erinnerungen

 

 

In den Jahren 1962 - 1969 arbeitete ich als Stadtplaner bei der Stadtplanungsbehörde ( Dienst van Stadsontwikkeling en Wederopbouw) der Stadt Rotterdam und wohnte auch in dieser Zeit mit meiner Familie in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam.

 

Wie kam ich nach Rotterdam?

 

Nach Abschluss meines Diploms als Architekt 1960 an der Rheinisch-Westfälischen Hochschule Aachen begann ich eine städtebauliche Nachausbildung, betreut vom Institut für Städtebau der TH Aachen unter der Leitung meines akademischen Lehrers Prof. Erich Kühn .

Im Rahmen dieser Nachausbildung arbeitete ich zunächst als freier Mitarbeiter bei der Stadt Wülfrath und danach für 1 ½  Jahr im Stadtplanungsbüro von Prof. Alois Machtemes in Düsseldorf an der Planung der Neuen Stadt Hochdahl .

 

Nach Vermittlung erster Kontakte durch Prof. Erich Kühn bewarb ich mich um eine Tätigkeit als Stadtplaner bei der Stadtverwaltung Rotterdam, das damals als ein Mekka für Stadtplaner galt und das bis heute nach wie vor Bemerkenswertes auf dem Gebiet der innovativen Architektur und des Städtebaus vorzuweisen hat.

 

Der Ausbildungsplan sah eine Tätigkeit von 1/2 bis 1 Jahr im Ausland

vor

Von Anfang an führten meine Chefs (u.a. der legendäre Ir. C. Van Traa ) in Rotterdam die Korrespondenz und die Verhandlungen mit mir in Niederländisch und mit der Vorgabe, mich für mindestens 3 Jahre und zu finanziellen Konditionen unterhalb des BAT zu verpflichten.

Ohne lange zu zögern, schloss ich auf dieser Basis einen Zeitvertrag ab und begann ab Mitte Okt 1962  meine Tätigkeit als „Stedebouwkundig Ontwerper“ bei der Stadt Rotterdam.

 

Ich blieb 7 Jahre!

Nach 2 Jahren wurde mein Arbeitsvertrag geändert. Ich erhielt den offiziellen Titel „Architect“  und wurde zum Beamten (!) ernannt

Am 1.1. 1966 wurde ich zum „Architect 1.Klasse“ befördert und als Nachfolger von Mv. Stam-Beese Gruppenleiter im Planerteam Rotterdam-Oost. Gleichzeitig erfolgte meine Ernennung zum Beamten  „in vaste dienst“, d.h. in unkündbarer Stellung, mit Pensionsanspruch.

Ich bin sehr stolz darauf, aus meiner Dienstzeit bei der Stadt Rotterdam sowohl eine kleine Rente als auch ein Pension zu erhalten, obwohl beide von meiner deutschen Pension wieder abgezogen werden.

 

Ich war der erste Deutsche, der in der von der Deutschen Luftwaffe im Mai 1940 total zerstörten Innenstadt von  Rotterdam bei der Stadtverwaltung als Mitarbeiter auf Zeit, später als Beamter (!) tätig war.

 

Als meine erste Aufgabe erhielt ich den Auftrag, im Herzen der Stadt auf dem Südufer der Maas als Verbindungsglied zwischen den hafennahen Stadtvierteln aus der Vorkriegszeit und dem Kranz der Neuen Städte Pendrecht, Zuidwijk und Lombardijen ein Stadtzentrum mit einem Einzugsgebiet von 350 000 Einwohnern ( ! ) für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des gehobenen Bedarfs zu planen.

Hier sollte auch das vorläufige Ende der noch zu planenden neuen, oberirdischen Metrolinie liegen, die die wieder aufgebaute Innenstadt nördlich der Neuen Maas mit der Stadt auf dem Südufer verbinden und eine wichtige den Maas-Tunnel und die Brücken entlastende Verkehrfunktion übernehmen sollte.

 

Diese Planungsaufgabe stellte für einen jungen Architekten von knapp 30 Jahren die Verwirklichung eines Stadtplaner-Traums dar, wie er heute nur noch vergleichbar in China oder auf der arabischen Halbinsel realisiert werden kann.

Im Trend der 60er Jahre plante ich ein Zentrum „ one building thick“ aus einem Stück mit erhöhtem Fußgängerniveau; darunter auf Straßenniveau Parken und Busbahnhof, darüber die Metrostation.

Zum südlich gelegenen neuen Stadtpark hin sah ich Wohnhochhäuser vor.

 

Nebenberuflich war ich durch Vermittlung meines  Kollegen L.de Waard

1963/64 zunächst an der Academie van Beeldende Kunsten Rotterdam ,

1965 - 1969 an der Academie van Bouwkunst Rotterdam

Dozent für Geschichte des Städtebaus und für Stadtbaulehre.

In dieser Eigenschaft ernannte mich das Niederländische Instituut voor Architectuur (IVA) zum Mitglied der nationalen Prüfungskommission.

 

Während meiner Beschäftigung mit dem Fragenkomplex der Ausstattung von Neuen Städten und neu geplanten Stadtvierteln mit Geschäften und öffentlichen sowie privaten Dienstleistungseinrichtungen, kurz zentralen Einrichtungen, damals absolutes Neuland, kam bereits mit Hochdahl in mir der Wunsch auf, diese Thematik in einer Dissertation wissenschaftlich zu erforschen und zu bearbeiten.

Jetzt in Rotterdam, in diesen für mich unglaublichen Planungs-Dimensionen einer Großstadtregion von knapp 1 Million Einwohnern, stellte sich diese Idee als eine Herausforderung dar, die mich nicht mehr los ließ.

 

Von 1964 - 1969 arbeitete ich an meiner Dissertation, betreut von Prof. Kühn, Aachen

(Korreferenten Prof. Dr. W. Steigenga, Amsterdam

und Prof. Wolfram Pflug, Aachen.)

Für meine schriftliche und mündliche Leistung erhielt ich die Note Mit Auszeichnung bestanden und später die Bochers- Plakette der RWTH Aachen für herausragende akademische Leistungen.

 

Das Thema meiner Dissertation lautet in der Überschrift: Stadtzentren in der Region Rotterdam- Europoort.

Im Untertitel: Untersuchungen über die Lage zentraler Einrichtungen und über Abhängigkeiten zwischen Stadtzentren und  Regionalstruktur innerhalb der heutigen Region Rotterdam und im Rahmen einer möglichen linearen Metropolstadt Rotterdam-Europoort mit drei Millionen Einwohnern.

 

Die Arbeit umfasst im Textteil 243 Seiten mit 40 Abbildungen, 32 Grafiken und einen Kartenband mit 4 Tabellen und 45 Karten, die im Original im Format DIN A 0 gezeichnet und für den Druck verkleinert wurden.

 

Ich habe in meiner Freizeit in mühevoller jahrelanger Kleinarbeit per Hand die Lage

und soweit möglich Bedeutung von  5187 (!) zentralen Einrichtungen bestimmt und kartographisch sowie tabellarisch festgehalten.

 

Da mich als Architekt und Stadtplaner die Erhebung und

Analyse von Daten allein nicht befriedigte, habe ich auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Analyse

ein Stadtmodell mit 3 Mio. Einwohnern entwickelt,

in dem optimales Wohnen in nahem Kontakt zur Natur,

in dem eine einfache Erreichbarkeit aller Ziele der Regionalstadt mit einem leicht überschaubaren System des Schienentransports und eine kurzwegige Erreichbarkeit aller Versorgungs-einrichtungen möglich ist.

Das Modell ist, obwohl von örtlich-räumlichen Gegebenheiten ausgehend, wissenschaftlich abstrakt. Aber machbar.

Da Dissertationen in den Hochschulbibliotheken archiviert werden, kann man nachlesen und sich ein eigenes Urteil bilden. Es lohnt sich auch nach 35 Jahren noch.

 

Leider muss ich mit einiger Arroganz feststellen, dass außer der erhaltenden Stadterneuerung nach 1970, dem Thema, das wir in Aachen verwirklicht haben, auf dem Gebiet der Städtebau-Theorie wenig konstruktiv Verwertbares in Deutschland nach den 60er Jahren entwickelt wurde.

 

Heute müssen die jungen Kollegen nicht nach Rotterdam, sondern nach China gehen.

Was haben sie im Gepäck: Ökologische Bauen und Event-Städtebau?  Reicht nicht!

 

Erfahrungen im Beruf

 

Meine  Dienstherrn und Vorgesetzten in Rotterdam erwarteten von mir nicht nur berufliche Engagement, sondern Identifikation mit den speziellen Stadtplanungsaufgaben ihrer Stadt.

Fachtourismus, Fachnomaden, Besserwisser  waren unerwünscht.

Und:

In der Arbeit musste man dem Niveau der Rotterdamer Stadtplanungsbehörde mit internationaler Reputation gerecht werden.

 

Rotterdam war in den 50er und 60er Jahren Pilgerort für die Stadtplaner aus aller Welt.

Nie hätte ich so viele, deutsche und international bekannte und berühmte Stadtplaner - als 30Jähriger wagte ich nicht zu sagen Kollegen - kennen gelernt wie in Rotterdam.

Ich wurde Mitglied der International Society of City and Regional Planners ( ISOCARP) mit Sitz in den Haag und habe dort viele internationale Kollegen und Freunde kennen gelernt.

 

Als ich später Direktor des Stadtplanungsamtes in Essen war, haben mich Kollege Dräsel aus Düsseldorf und Prof. Albers, München, die ich beide aus Rotterdam kannte, als Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung DASL empfohlen.

 

Es war mir ein Bedürfnis, die niederländische Sprache zu lernen, nicht nur weil ich im Bewerbungs-Schriftverkehr dazu gezwungen wurde, sondern weil ich die Sprache als ein Mittel der Identifikation erfahren habe.

Ich lernte die niederländische Sprache sprechen, kennen und lieben.

(Noch heute träume ich gelegentlich in Niederländisch.)

Das wurde sehr honoriert.

Nach einem Jahr hielt ich Vorlesungen in Niederländisch.

Anscheinend waren die Studenten nicht nur höflich, sondern haben mich auch verstanden.

 

Unter Kollegen wurden endlose Gespräche geführt über Fachthemen allgemeiner und spezieller Art,

über Philosophie und Religion, über Politik und persönliche Erfahrungen in der Vorkriegszeit, der Kriegs- und der Nachkriegszeit.

 

Unter meinen Kollegen waren Menschen, die Juden vor der Naziverfolgung versteckt hatten, die aktiv am Widerstand gegen die Deutschen beteiligt waren.

Das persönliche Gespräch und der intensive persönliche Gedanken- und Erfahrungsaustausch trugen wesentlich zum Abbau von fremd geprägten Vorurteilen bei.

 

Ich war Ausländer, ein im Allgemeinen wenig beliebter Deutscher.

Aber ich wurde voll akzeptiert und habe persönlich nie Aversionen oder gar Aggressionen erfahren.

 

Nebenbei bemerkt, gab es zu meiner Zeit in Rotterdam noch keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland, was ich allerdings erst viel später erfahren habe.

 

Zum Thema Ausländerfeindlichkeit könnte ich aus meiner Erfahrung viel Interessantes und Wichtiges berichten.

 

Eine meine älteren Kolleginnen war ein Denkmal, Mevrouw Stam-Beese.

Sie war von Geburt Deutsche, Schlesierin. Sie hatte aktiv die Moderne mitgestaltet.

Sie war in den 20er Jahren mit Ernst May in Russland gewesen, hatte dort den holländischen Architekten Maart Stam kennen gelernt und geheiratet und war seitdem naturalisierte Niederländerin.

Sie sprach - bewusst als Markenzeichen - ein furchtbares Niederländisch mit einmaligem deutschem Akzent.

 

Sie war verantwortlich für die Stadtentwicklung in Rotterdam-Oost, mit dem in Deutschland bekannten Alexander-Polder als Unterstadtteil.

Als sie 1966 mit ihrer Pensionierung aus dem Dienst der Stadt Rotterdam ausschied,  erhielt ich den Auftrag, ihre Aufgabe als Gruppenleiterin für den Stadtbereich Oost zu übernehmen.

Stadtentwicklung für schlichte 100 000 EW.  Eine weitere, neue Herausforderung.

War das eine Zeit der Kreativität, der Spontaneität, der grenzenlosen Gedanken und Stadtplanerideen!

Die Realität hat vieles eingeholt.

 

Der Direktor von Gemeentewerken (Tiefbauamt) der Stadt Rotterdam, Ir Tillema, dessen Zeichenbüro später die Karten und Pläne meiner Dissertation in mühevoller Kleinarbeit in ein druckreifes Format brachte, bat mich eines Tages, seine Ausführungen über die Planung, Konstruktion und Durchführung der Rotterdamer Metrolinie  ins Deutsche zu übersetzen.

Ich habe das neben den anderen beruflichen Aktivitäten gerne getan, lernte ich doch bei dieser Gelegenheit Konzept und alle Details dieser einmaligen technischen Höchstleistung des Bauens unter und im Wasser kennen.

 

„Das ist aber viel Arbeit“, kam nie über meine Lippen;

damals nicht und bis heute nicht.

 

Seitens der Stadt Rotterdam erfuhr ich eine unvorstellbare Unterstützung bei der Fertigstellung meiner Dissertation, für die ich noch heute sehr dankbar bin:

Ein halbes Jahr Dienstbefreiung, als ich ein Stipendium der Volkswagenstiftung erhalten hatte, eine Sekretärin, die meine Arbeit in Reinschrift und in Deutsch tippte, technische. und arbeitsmäßige Unterstützung durch das Zeichenbüro des Tiefbauamtes bei der Herstellung von 49 Karten .

Kann man sich so etwas in Deutschland vorstellen?

 

25 Jahre danach:

Aus Anlass meines 60. Geburtstages habe ich mich besonders über den Glückwunsch meines damaligen, höchsten Vorgesetzten, Herrn Wethouder Mr. H.C.G.L. Polak, gefreut.

 

Erfahrungen im täglichen Leben.

 

Wir waren Ausländer. Um legal in Holland arbeiten und leben zu können, war eine behördliche Arbeitserlaubnis und eine Aufenthaltsgenehmigung erforderlich, die dank meines Arbeitsvertrages mit der Stadt Rotterdam unbürokratisch erteilt wurde.

Die Stadt Rotterdam war uns auch behilflich bei der Vermittlung und Anmietung einer sog. middelstands woning, einer Sozialwohnung für den Mittelstand.

Wir konnten eine 75 qm große Laubengangwohnung im 2. Stock mit Wohnzimmer, Elternschlafzimmer, 2 Kinderzimmern sowie Küche, Bad und Balkon in dem damals neuen Stadtteil Lombardijen mit 25 000 EW mieten.

 

Täglich fuhr ich mit dem Fahrrad, einem unverwüstlichen, gut gepflegten Hollandrad aus der Vorkriegszeit, das ich von einer Kollegin als Dauerleihgabe erhalten hatte, später mit dem Bromfiets über ca.10 km zum Büro in die Innenstadt. Dabei musste auf die Öffnungszeiten der Maasbrücken geachtet werden.

 

Im neuen Stadtteil Lombardijen, in dem wir wohnten, herrschte eine Art Pioniergeist, alle Einwohner waren neu,

die wenigsten kannten sich, persönliche Kontakte waren, trotz städtebaulicher Planung in Nachbarschaftseinheiten, selten; ergaben sich später, als unser Tochter in den Kindergarten ging.

Es gab räumlich und hierarchisch abgestuft alle Arten von Geschäften für den täglichen und kurzperiodischen Bedarf. Die öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Kirchen der verschiedenen Konfessionsgemeinschaften waren im Entstehen, teils fertig, teils als Provisorien (in Holzbaracken) in Betrieb.

 

Gleich in den ersten Jahren machten wir interessante, nicht immer gleich akzeptierte Erfahrungen mit der niederländischen Lebensweise.

Unsere Tochter konnte es überhaupt nicht verstehen und akzeptieren, dass sie auf dem schönsten und interessantesten Kinderspielplatz im Ortsteil nicht spielen durfte, ohne ein Schildchen um den Hals zu tragen, dass sie bzw. ihre Eltern als Mitglied der privaten Speeltuinvereniging auswiesen.

 

Oder die Sache mit den Gardinen.

Wir hatten uns schnell und dauerhaft bis heute an Wohnen ohne Gardinen gewöhnt.

aber dass es der calvinistisch geprägte Anstand strikt verbietet, in ein Fenster ohne Gardinen hineinzuschauen,

daran konnten wir uns nur allmählich gewöhnen.

Übrigens ist die immer noch virulente Behauptung von der Gardinensteuer ein Märchen.

 

Unsere Wohnung war äußerst funktional, praktisch organisiert und eingerichtet. Mit Ausnahme des Wohnzimmers waren die Räume klein, aber wie auf dem Schiff war letztlich für den erforderlichen Bedarf alles unterzubringen.

Wir fanden das gut so.

Aber wenn wir Besuch aus Deutschland bekamen, wurden gerne das kleine separate Besuchszimmer und die vom Bad getrennte Toilette akzeptiert. Aber ein Badezimmer ohne Badewanne, ein Kunststeinbottich als Waschbecken und Duschen einfach so auf dem Boden vor dem Spiegel und das alles auf nicht mehr als 3 qm, unmöglich !

Dabei war alles so praktisch. Platz für die Waschmaschine und die Wäsche, Kinderbaden ohne Rückenverrenkungen, kurze Wege zwischen Küche - Bad - Schlafzimmer.

Die Heizungsrohre auf der Wand wurden als schrecklich und die steilen Treppen als gefährlich für alte Leute und kleine Kinder angesehen.

 

Die nahe See ist ja schön, aber wie kann man nur so primitiv wohnen, dachten unsere deutschen Besucher, manche nahen Verwandten sprachen es auch aus.

Wir fanden unsere Wohnung trotzdem gut, konnten die geäußerten Vorurteile zwar selten entkräftigen, für unser Leben aber viel daraus lernen.

Vor einigen Jahren habe ich mit der damaligen Frau Ministerin Adam- Schwätzer über das Thema

kostengünstiger Wohnungsbau nach niederländischem Vorbild korrespondiert und dabei aufgrund meiner Lebenserfahrungen in Holland darauf hingewiesen, dass niederländischer Funktions geprägter Wohnstandard von Deutschen mit ihrer Vorstellung von Wohnung als Medium zur Demonstration von Image und Luxus kaum akzeptiert werden wird.

 

Noch ein Erlebnis aus dem Alltag

Meine Frau fuhr im Sommer bei schönem Wetter häufig mit unserer Tochter Bernadette oder mit Kinderbesuch an die See.

Es gab eine direkte Zugverbindung alle 2 Stunden von unserem Stadtteil Lombardijen nach Hoek van Holland.

Nachdem niederländische Freunde uns die Augen geöffnet hatten, konnten wir schon von weitem Holländer und Deutsche unterscheiden.

Die Holländer legen sich auf ihre Decken, die sie auf dem Sand an beliebiger Stelle ausbreiten, knabbern olie nootjes (Erdnüsse), verzehren ihre mitgebrachten Speisen und schauen auf die grote zee, auf die Schiffe am Horizont und die Bewegung der Gezeiten.

Und sie beobachten je nach Temperament amüsiert oder verärgert die Deutschen, die Burgen bauen und ihr Strand-Territorium abstecken, als sei es ihr Eigentum.

Dabei gehört die See doch allen, und Sandburgen gegen die Wassergewalt der Flut zu bauen, ist töricht

und vergeblich die Mühe, die See ebnet doch alles wieder ein.

 

Oder:

 

Ein kaum vorstellbares Erlebnis aus unserem neuen Ortsteil Lombardijen.

Mit dem Wachstum der überwiegend nederlands-hervormden Einwohnerzahl vergrößerte sich auch die Zahl der Katholiken

mit der Konsequenz, dass der Bischof von Rotterdam einen neuen Pfarrer ernannte, um eine 2.Pfarrgemeinde in Lombardijen zu gründen. Dieser bekam leihweise eine Baracke auf das künftige Kirchengrundstück gestellt, mietete sich ein Flat, eine Geschosswohnung in der Nähe und besuchte seine neuen Schäfchen, deren Adresse er sich vom Einwohnermeldeamt hatte geben lassen und die er bat, doch künftig die neue  Kirche zu besuchen, auch wegen der Kollekte, auf die die neue Gemeinde und er angewiesen sei. Letzteres umschrieb er allerdings etwas behutsamer.  

Diese Situation muss man sich im Kirchensteuer finanzierten Priester-Beamten-Deutschland einmal vorstellen.

 

Eines Tages besuchte er mich und fragte mich nach einleitenden Worten und einem kurzen Gedankenaustausch über das damals heftig diskutierte und in seinen Neuerungen stürmisch begrüßte ll. Vatikanische Konzil, ob ich bereit sei, Mitglied des Kirchenvorstandes zu werden.

 

Aber Herr Pastor, antwortete ich überrascht,

das können Sie doch nicht machen,

Sie wissen doch, ich bin Deutscher,

und was sagen da die anderen Gemeindemitglieder

und der übrige Vorstand dazu.

 

Ja, wissen Sie, antwortete er, mit denen habe ich schon gesprochen, die sind alle einverstanden,

denn Sie sind ja gar kein typischer Deutscher.

 

Das ist aber interessant, war meine erstaunte und neugierige Antwort,

wer ist denn ein typischer Deutscher?

Als Antwort kristallisierte sich dann heraus, typische Deutsche,

das sind die krachledernen Bajuwaren und die soldatesken Preußen,

wie man sie im Übrigen heute noch fast täglich auch im deutschen Privat-Fernsehen in gewissen angloamerikanischen Seriensendungen als Karikatur vorgeführt bekommt.

Und ansonsten sei es ganz gut, jemanden aus der Baubehörde im Kirchenvorstand zu haben.

Mit soviel Vertrauen ausgestattet, sagte ich ja und war dann, autorisiert durch eine offizielle Urkunde des Bischofs, bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland als Kirchenvorstand einer holländischen katholischen Gemeinde  tätig.

 

Von unseren Besuchern wurden wir häufig gefragt, wie das denn so in Holland sei

und wie wir die Holländer fänden.

In den ersten Monaten glaubten wir, das alles schon genau zu wissen,

nach einem Jahr war unsere Antwort, wir wissen es nicht,

wir können nur etwas über Rotterdam sagen

und am Ende haben wir jede Verallgemeinerung abgelehnt.

 

 

Umgang mit der niederländische Sprache

 

Die meisten Deutschen halten in ihrer Ignoranz und Arroganz niederländisch für eine Halskrankheit, keine Sprache.

 

Die niederländische Sprache ist einfach.

Nicht dass es einfach für uns war, niederländisch zu lernen. Wir hatten keine Ahnung und versuchten uns am Anfang mit einem dicken Wörterbuch, einer Grammatik und einer kleinen Schallplatte zurechtzufinden.

Obwohl meine Kollegen gerne in den Gesprächen mit mir ihr Deutsch sprechen und verbessern wollten, bestand mein Ergeiz darin, niederländisch zu lernen.

Es ist eine ungeheure geistige Anstrengung mit einem beschränkten Wortschatz in einer fremden Sprache in vollständigen Sätzen zu sprechen. Aber es hat sich gelohnt.

 

Als Folge systematischer Vereinfachung und Rationalisierung bereiten die niederländische Grammatik und die Orthographie kaum Probleme.

Die Regeln sind einfach zu lernen, die Ausnahmen gering.

Nach einigen Übertreibungen am Anfang und bei gutem Willen, den Mund zu bewegen,

lernt man, wenn man niederdeutsch sprechen kann, auch bald niederländisch.

 

Was mir heute Probleme bereitet und mich regelrecht ärgert, ist die täglich zu erfahrende Tatsache, dass z.B. die Aachener als Grenzbewohner, die so häufig von der gemeinsamen Kulturgeschichte im Dreiländerraum sprechen und so stolz auf ihr Platt sind, keine Ahnung von den einfachsten Ausspracheregeln der niederländischen Sprache haben.

Da heißt der Nachbarort Raeren " Rären", und noch schlimmer die Roermonder Str.

"Rörmonder Str", obwohl an dem Ort, auf den sie hinweist, die deutsche, die Eifeler Rur in die Maas mündet. Skandinavien ist viele 100 km weit, auf Steinwurf Abstand sprechen die Nachbarn Niederländisch und da wird nicht ohne Absicht Heerlen mit 2e und nicht mit ä  geschrieben und gesprochen. Kein Interesse ?

Niederländisch ist eine ausdrucksstarke Sprache

In den Verträgen der Stadt Aachen mit der Nachbargemeinde Heerlen ist z.B. von einem programma van eisen, von einer intensieverklaring und von einem plan van aanpak die Rede, Begriffen, die so plastisch vorstellbar sind , dass sie zum Jargon auch der deutschen Partner wurden, nicht zuletzt, weil die adäquaten deutschen Begriffe so lebensfremd und akademisch klingen.

Auf der anderen Seite muss selbstverständlich in Gutachten, Vertragswerken und dgl. auf exakte, jeweils der eigenen Sprache entsprechende Terminologie Wert gelegt werden.

 

Niederländisch ist eine schöne Sprache

Wer hier widerspricht, und ich höre viele, bezeugt, dass er die niederländische Sprache nicht kennt. 

Auch im Niederländischen, ähnlich wie im Deutschen, Englischen, Spanischen und Italienischen gibt es die Volkssprache, die Bauernsprache, den Slang, aber es gibt auch die Hochsprache, das beschaaft nederlands, so wie es in Den Haag und von der Niederländischen Königin gesprochen wird. Ihr oder einer flämischen Nachrichten- Sprecherin zuzuhören, ist für mich ein Sprachgenuss.

 

Niederländer sind polyglott, Akademiker sprechen im allgemeinen 3 - 4 Sprachen fließend  und ohne große Schwierigkeiten auch gleichzeitig. Daher sind sie bei internationalen Fachkongressen und in den Europäischen politischen Gremien als Vorsitzende und Gesprächsleiter gern gesehen. und überrepräsentativ vertreten.

Es ist für mich ein Genuss, einen polyglotten Niederländer als Diskussionsleiter und Sprachenjongleur zu erleben.

 

Das deutsch- niederländische, niederländisch- deutsche Verhältnis

 

Nach meiner persönlichen Erfahrung  von früher und heute - ist dieses Verhältnis normal und gut, sowie von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Die kann unterschiedlich sein.

 

Randalierende Fußballfans und alkoholisierte Kegelclubs sollten

weder an der Maas, noch am Rhein der Maßstab für ein gutnachbarschaftliches Verhältnis sein.

Von außen geschürte Ängste vor dem großen Bruder, hohlköpfiges Geschwätz am Biertisch oder in der Presse über alte Fußballfeinde,

im Einzelfall sich bestätigende Vorurteile usw. werden erfreulicherweise durch zunehmende persönliche Kontakte von Mensch zu Mensch - und nur so - relativiert

und ad absurdum geführt.

 

Dabei sind verfeinerte Kenntnisse der Geschichte, der Sprache und der Eigenarten von Land und Leuten die besten Vorbedingungen für das gegenseitige Kennen lernen und den Abbau von Spannungen.

 

Ich freue mich, dass Aachen der Niederländischen Königin Beatrix vor einigen Jahren den internationalen Karlspreis verliehen hat.

Das war ein gutes Zeichen, mehr wert als viel Gerede.

Ein harmonisches Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn Niederlande und Deutschland ist eine wichtige Voraussetzung für den Frieden in Europa.

 

Bleibende Erinnerung

 

Gerne denke ich an unsere Zeit in Rotterdam zurück, die mich beruflich -fachlich und menschlich bereichert hat und den Lebensstil meiner Familie bis heute nachhaltig geprägt hat.

 

Der Ausbildungsplan sah max. 1 Jahr vor, vertraglich einigten wir uns auf 3 Jahre, geblieben sind wir 7 Jahre.

 

Noch heute fahren wir alle Jahre in diese einmalige Weltstadt Rotterdam, um die Maas zu riechen, die St. Laurenskerk, inzwischen ökumenisches Kirchenzentrum, zu besuchen und den Wochenmarkt, einen der größten in Europa, mit Loempia und Nieuwe Haring zu geniessen und um internationales, weltoffenes Flair zu spüren.

 

Provinz ist in.

Die Kneipe an der Ecke und ihre soziale Bedeutung wird im Karneval besungen. Platt und lokaler Slang gelten als Medium der Identifikation.

 

Wenn man einmal als Stadtplaner und Mensch auf der internationalen Ebene gearbeitet und gelebt hat, dann weiß man, dass es auch noch eine andere Dimension gibt.

 

Wie will man sonst Hongkong, Shanghai und Chongching verstehen?

 

 

Aachen, den 03.11.2003 / 01.06.2010

                                              

 

Dr.- Ing. Wilhelm Niehüsener